2. März 2022, 16:22
Ukrainerin lebt in Donauwörth

"Das Wichtigste ist, dass meine Familie am Leben ist"

Für Tamara Haein aus Donauwörth ist gerade nur eines wichtig: Wie geht es ihrer Familie in der Ukraine? Bild: Mara Kutzner
Was Tamara Haeins Familie in der Ukraine gerade erlebt, ist kaum vorstellbar. Im Gespräch erzählt die Donauwörtherin wie schwer es ist Kontakt zu halten und warum die große Solidarität mit ihrem Heimatland sie tief berührt.

Wenn Tamara Haein gerade in der abendlichen Sonne ihre eineinhalb-jährige Tochter auf der Schaukel am Spielplatz beobachtet, kann sie dies nicht vollkommen genießen. In Gedanken ist die Donauwörtherin nämlich bei ihrer ukrainischen Familie. Seit der russischen Invasion in ihr Heimatland ist nichts mehr so, wie es einmal war. Die Welt ist erschüttert vom Krieg in der Ukraine. Die Bilder von zerstörten Gebäuden und Nachrichten über Tote und Verletzte machen Angst und lösen weltweit großes Mitgefühl aus. 

Aufgewachsen ist Haein in Tschernihiw im Norden der Ukraine. Vor 12 Jahren bekam sie ein Stipendium für ein Studium in Deutschland. Sie wollte ins Ausland, die Welt sehen und neue Erfahrungen sammeln. Im Ingenieursstudium in Dresden lernte sie ihren jetzigen Ehemann kennen, einen Franzosen. Das Paar fand schließlich in Donauwörth Arbeit und eine neue Heimat. 

Haeins Eltern leben weiterhin in Tschernihiw, eine 300.000-Einwohner-Stadt, etwa 60 Kilometer entfernt von der belarussischen Grenze. Am dortigen Grenzübergang drangen russischen Truppen in die Ukraine ein. Am Montag soll eine Rakete ein Wohnhaus in der Stadt getroffen haben, dadurch sei ein Feuer ausgebrochen. Das meldete der Informationsdienst der Ukraine auf Telegram. Anderen Berichten zufolge sei in Tschernihiw auch ein Kino, ein Gebäude des ukrainischen Geheimdienstes, Wohnhäuser und ein Kindergarten schwer getroffen worden.

Tamara Haein weiß, dass sich ihre Eltern zurzeit irgendwo in einem Keller verstecken können. Viel Kontakt kann sie in diesen Tagen aber nicht halten. "Ich bin froh, wenn meine Mutter mir einmal am Tag schreibt 'Wir leben!'", sagt sie. Nicht immer ist genug Strom für die Akkuladung vorhanden und Haein vermutet, dass sich ihre Eltern das Telefon vielleicht auch mit anderen teilen. "Ich würde am liebsten die ganze Zeit schreiben und anrufen, aber das geht einfach nicht. Da muss ich mich ziemlich disziplinieren", berichtet sie. Auch weil in den letzten Tagen der Kontakt nur sehr gering war, weiß die Donauwörtherin nicht wirklich, wie die Situation in ihrer Heimatstadt ist. Von den Raketenangriffen las sie in den Medien. Wie es um die Versorgung mit Lebensmittel bei ihren Eltern steht, kann Haein momentan nicht genau sagen, auch ob die Gebäude, die sie aus ihrer Kindheit und Jugend kennt, noch stehen, bleibt ungewiss. "Das Materielle ist gerade aber überhaupt nicht wichtig für mich, ich möchte nur wissen, ob meine Familie am Leben ist. Das ist wie ein Horrorfilm", sagt sie. Nur leider ist es kein Film, den man irgendwann einfach ausschalten kann, es ist bittere Realität für sie, ihre Familie und all die anderen Menschen in der Ukraine. 

Überwältigt und dankbar für so große Solidarität 

Vor zwei Jahren war sie das letzte Mal in ihrer Heimat. An das Land hat sie nur gute Erinnerungen und sie kehrte immer wieder gern zurück. Dass sie sich in Donauwörth ein Leben aufbauen wird, daran dachte Tamara Haein anfangs nicht. Nach dem Studium standen ihr und ihrem Mann die Welt offen, doch es war schließlich das Kleinstadtidyll, was das Paar nach Donauwörth zog und dortbehielt. 

Wenn die Donauwörtherin jetzt sieht und hört, wie sich die Bevölkerung ihrer Wahlheimat mit dem Land, in dem sie aufwuchs, solidarisieren, ist sie tief berührt. "Es ist unbeschreiblich, ich habe das auch gar nicht erwartet", sagt sie. Die Bilder von Friedensdemos, ukrainischen Flaggen, Gebäude in gelbem und blauem Licht und Spendenaktionen, die gerade aus dem Boden gestampft werden, stimmen sie etwas positiv und hoffnungsvoll. "Es ist das Einzige, was die Menschen jetzt gerade tun können", sagt sie und fügt an: "Dadurch zeigt sich 'Wir Ukrainer sind nicht allein'. Dafür bin ich wirklich sehr dankbar." 

Auch Tamara Haeins Arbeitsstelle hat sich kurzerhand eine Spendenaktion überlegt. Haein arbeitet seit fünf Jahren in der CID-Geschäftsstelle im Donauwörther Rathaus. Beim sogenannten "Flanieren in der Reichsstraße" am kommenden Samstag haben die Besucher und Besucherinnen die Möglichkeit, Geld für die Menschen in der Ukraine zu spenden. „Mein ukrainisches Herz schlägt donauwörtherisch“, kommentiert sie die Aktion.  "Ich bin mir sicher, meine Kollegen hätten auch ohne mich einen Spendenaufruf gestartet, aber durch mich, sind sie der Situation vielleicht noch ein bisschen näher und bekommen von mir direkt mit, was dort gerade passiert", sagt Haein. 

Es ist eine Mischung aus Dankbarkeit und Stärke, die Tamara Haein dieser Tage auch aufgrund ihrer kleinen Tochter aufbringt und sie nicht ganz verzweifeln lässt. "Ich möchte nicht, dass mein Kind mitbekommt, dass es mir nicht gut geht", sagt sie. Dass sie ihr Kind so fröhlich spielen sieht, aber um die tausenden Frauen mit Kindern weiß, die sich zeitgleich auf die Flucht raus aus der Ukraine machen, ist besonders schwer für die Mutter.

Was sich Tamara Haein wünscht, ist deshalb noch mehr Unterstützung für ihr Heimatland. Nicht nur durch die Gesellschaft, sondern vor allem auch durch die Politik. Ihr wichtigster Wunsch bedeutet aber noch viel mehr: "Ich hoffe ich kann jemals wieder meine Mutter in den Arm nehmen".