Ein Besuch im Nördlinger Rathaus: Die „Pappenheimer“-Forscher Werner und Annedore Dombacher aus Aalen, die Nördlinger Jugendforscherinnen Anna Fischer und Franziska Eßmann, Irene Münster, Oberbürgermeister David Wittner, Ricardo Münster und Museumsleiterin Andrea Kugler. Bild: Helena Ott
Aufmerksam geworden durch die Internetseite der Schülerinnen Anna Fischer und Franziska Eßmann über jüdisches Leben in Nördlingen, besuchte Ricardo Münster mit seiner Frau Irene die Heimatstadt seiner Eltern und die Ausstellung „Matzen täglich frisch“ im Stadtmuseum.

Sichtlich bewegt schilderte Ricardo Münster Oberbürgermeister David Wittner bei einem Treffen in der Bundesstube des Rathauses seine Familiengeschichte. Ricardos Vater Martin Münster kam Mitte der 1930er Jahren als Jugendlicher mit Eltern und Großeltern aus dem fränkischen Cronheim nach Nördlingen. In Cronheim war die politische Stimmung gegen Juden bereits umgeschlagen. Martins Tante Sophie, die Schwester seines Vaters, lebte mit ihrem Ehemann, dem Viehhändler Hermann Behr in der Deininger Straße 15. Hier fand die Familie Münster vorübergehend eine neue Bleibe.

In Nördlingen verliebte sich Martin Münster in die fünf Jahre jüngere Irmgard Pappenheimer. Irmgard war das einzige Kind der Eheleute Amalie (Milli) und Simon Pappenheimer, die zusammen mit dem Großvater Moritz Pappenheimer das Kaufhaus in der Schrannenstraße 2 (heute „Steingass“) führten. Doch für das verliebte Paar sollte es noch viele Jahre dauern, bis sie endgültig vereint sein sollten.

Kurz nachdem Martin Münster Irmgard kennengelernt hatte, musste der damals 17-Jährige wegen eines Göring-Witzes zuerst in Haft und dann 1938 fluchtartig das Land verlassen. Über Paraguay gelangte er nach Argentinien. Zur selben Zeit war Irmgards Vater Simon schwer krank und erlag seinem Leiden im Februar 1938. Erst nach dessen Tod rang sich ihre Mutter Milli zur Auswanderung nach Amerika durch. Milli und Irmgard verließen Europa auf der „SS Queen Mary“ am 28. September 1938 mit dem Zielhafen New York.

Der in Argentinien lebende Martin Münster hielt jahrelang Kontakt mit Irmgard Pappenheimer, aber erst 1946 gelang es ihm, ihr erfolgreich einen Antrag zu machen. Das Paar wohnte anschließend in Buenos Aires, wo Irmgard zwei Söhnen das Leben schenkte. Einer von ihnen ist Ricardo Münster, der vor etlichen Jahren mit seiner ebenfalls deutsch-stämmigen Frau Irene nach Maryland/USA gezogen war.

Beeindruckende Dokumentation der Geschichte

Eigentlich wollte sich Ricardo in Nördlingen auch mit den Nachkommen seines Großonkels Heinrich treffen, der im „Dritten Reich“ nach Palästina ausgewandert war. Heinrich war Simon Pappenheimers Bruder. Er hatte in den 1920er Jahren eine Handelsfiliale in Aalen aufgebaut und lebte dort mit seiner Frau Ida Ilse und den zwei Kindern. Überschattet von den kriegerischen Auseinandersetzungen in Israel und Gaza war es den israelischen Verwandten jedoch nicht möglich, nach Nördlingen zu kommen.

Im Stadtmuseum Nördlingen überreichte Ricardo Münster Museumsleiterin Andrea Kugler Postkarten, Fotos und handgeschriebene Notizbücher aus seinem Familienbesitz, verbunden mit dem Wunsch, dass sie kommenden Generationen vom Schicksal der jüdischen Familien erzählen. Die Handschriften seiner Großmutter Betti Münster (geboren 1891 in Cronheim, verstorben 1979 in Buenos Aires) enthalten eine große Anzahl an Backrezepten, von der Prinzregententorte bis zum „Kriegskuchen“, aber auch ihre deutsch-jüdischen Rezepte wie „Grimsele“ (eine Art Rösti), „Schalet“ (Auflauf mit Matzen) oder „Eingemachter Esrog“.

In Nördlingen traf sich das Ehepaar Münster auch mit dem Aalener Heimatforscher Werner Dombacher und seiner Frau Annedore. Dank der intensiven Recherchen von Werner Dombacher und seiner Frau erhielt die Familie Pappenheimer dort bereits 2019 einen „Stolperstein“.

Neben den ehemaligen Wohnhäusern in Nördlingen und Aalen besuchte das Ehepaar auch die jüdischen Familiengräber in Nördlingen, Ichenhausen, Bechhofen und Oberdorf sowie das Stadtarchiv Nördlingen. Ricardo Münster zeigte sich überwältigt von den gut dokumentierten Spuren, die seine Familie im Ries und dessen Umgebung hinterlassen hat und dachte bereits bei der Abreise über den nächsten Besuch in der alten Heimat seiner Familie nach.

Die Ausstellung „Matzen täglich frisch – Jüdisches Leben in Nördlingen“ ist noch bis 5. November, Dienstag bis Sonntag, von 13:30 bis 16:30 Uhr im Stadtmuseum zu sehen. Am 1. November hat das Museum jedoch feiertagsbedingt geschlossen. (pm)