16. Oktober 2021, 07:53
Heimatgeschichte

Nachtwächter lassen Geschichte lebendig werden

Hellebarde, Horn, Laterne: Ihr historisches Rüstzeug haben die Nachtwächter auch bei Stadtführungen dabei. Bild: Werner Rensing
Vom Mittelalter bis in das ausgehende 19. Jahrhundert verrichteten Nachtwächter einen wichtigen Dienst in den Städten. Ausgerüstet mit Horn, Hellebarde und Laterne sorgten sie für Sicherheit in den Straßen, sahen zu, dass alle Feuerstellen nachts gelöscht waren und sagten mit ihren Stundenrufen die Zeit an. Die Einführung von Straßenbeleuchtungen und neuen Polizeigesetzen machten den Beruf, der meistens von Tagelöhnern und Knechten ausgeübt wurde, mit der Zeit überflüssig. In Oettingen ging die Zeit der Nachtwächter an Silvester 1881 zu Ende – bis sie zum ersten zweitägigen Historischen Markt im Jahr 1994 wieder zurückkamen.

Die Idee, diese Tradition wieder aufleben zu lassen, hatte Rainer Bauer, damals Vorstand des Oettinger Verkehrsvereins. Einer der beiden neuen Nachtwächter, die zum Historischen Markt Stundenrufe singen und bei Umzügen mitlaufen sollten, war Christian Zuber. Das gefiel ihm so gut, dass er sich 1999 entschloss, Stadtführungen als Nachtwächter anzubieten. Nach einigen kurzfristig tätigen Partnern stieß 2004 Karl Huber dazu – beide führen bis heute als Oettinger Nachtwächter interessierte Besucher*innen durch die Wörnitzstadt.

Immer zu zweit – einer katholisch, einer evangelisch

In Oettingen lebten Protestanten und Katholiken jahrhundertelang in der gleichen Stadt, die konfessionell getrennt war – das kann man an den unterschiedlichen Häuserfassaden immer noch sehen. So gab es auch zwei Nachtwächter, den Katholischen mit roter Weste (heute: Christian Zuber) und den Evangelischen mit schwarzer Weste (Karl Huber). Wegen der Pandemie konnten die beiden seit Herbst 2019 bereits keine Nachtwächterführung mehr anbieten. Früher zeigten sie bis zu 100 Personen gleichzeitig die Stadt, und unterhielten ihr Publikum dabei mit eingestreuten Anekdoten und Witzen. Ihre Stundenrufe gehörten auch dazu, wie dieser hier:

„Hört, Ihr Christen, lasst Euch sagen, der Hammer, der hat neun geschlagen, neun versäumten Dankespflicht, Mensch vergiss die Wohlfahrt nicht!“

Die Sprüche – zu jeder vollen Stunde der Nacht ein anderer – erinnerten u.a. an Geschichten aus der Bibel, der obenstehende an Lukas 17, 11–19: Die zehn Aussätzigen. Die Sprüche begleiteten über lange Zeit das Leben der Menschen in der Stadt, mit dem Wegfall der Nachtwächter gingen auch sie ein wenig verloren. Das beklagte im Jahr 1882 der Oettinger Notar und Justizrat sowie spätere Ehrenbürger Karl Wörlen in einem Leserbrief. Eine „sehr gute und schöne Sitte“ seien diese Rufe gewesen, sie hätten nicht nur zur Kontrolle (der Arbeitstätigkeit des Nachtwächters) gedient, sondern auch der Volkserziehung. „Daher ist es zu bedauern, dass Sie abgeschafft sind, als dass man sich darüber vergnügt die Hände reibt“, schrieb Wörlen.

Jedes Mal eine neue Erfahrung

Für Christian Zuber ist das schönste an seiner „neuzeitlichen“ Nachtwächtertätigkeit die Kommunikation mit den Menschen. „Man weiß nie, was es für Leute sind“, sagt Zuber. Wenn sie Interesse zeigen und mitmachen, sei das Nachtwächterdasein besonders schön. Karl Huber erinnert sich außerdem gerne an eine Führung mit katholischen Theologen, mit denen er schöne Gespräche geführt habe. Einen besonderen Stellenwert nimmt für Huber außerdem ein Auftritt beim Hoffest des Gasthauses Götz in Pfäfflingen ein, bei dem er für eine bettlägerige Großmutter eines Mädchens seine Stundenrufe durchs Fenster gesungen hat.

Solche Momente sind wertvoll, und es sollte sie auch weiterhin geben. Daher wäre es schön, wenn sich in Zukunft neue Nachtwächter oder Nachtwächterinnen finden, die Oettingens Geschichte lebendig werden lassen – Christian Zuber und Karl Huber würden sich über neue Kolleg*innen sehr freuen!

Kontakt für Interessierte

Wer sich für Führungen interessiert oder überlegt, selbst Nachtwächter*in zu werden, kann sich bei der Tourist-Information Oettingen melden: Tourist-Information im Rathaus, Schloßstraße 36, 86732 Oettingen i. Bay., tourist-information@oettingne.de