6. Februar 2022, 08:00
Fluthilfe Nordschwaben

430 Kilometer ins Katastrophengebiet

Bild: privat
Eine Flutkatastrophe führte im Juli dazu, das große Teil des Ahrtal zerstört wurde, viele Menschen verloren ihr Leben. Die Fluthilfe Nordschwaben reist seitdem regelmäßig in das Gebiet um den Menschen vor Ort zu helfen.

Das Ahrtal ist eigentlich ein Paradies. In einem schmalen Tal schlängelt sich das Flüsschen Ahr durch die Eifel und hat sich tief in das Schiefergebirge gegraben. Weinreben säumen die Hänge, malerische Ortschaften liegen im Tal. Bis der 14. Juli 2021 kam. Damals verwandelten sintflutartige Regengüsse die Ahr in einen reißenden Strom, der nahezu das gesamte Tal zerstörte. 133 Menschen verloren an diesem Tag im Landkreis Ahrweiler ihr Leben, tausende Gebäude sind durch die Überflutungen unbewohnbar, Straßen und Brücken wurden fortgeschwemmt – die Menschen an der Ahr stehen vor den Trümmern ihrer Existenz. Trotz der Verzweiflung machte sich in Deutschland eine Welle der Hilfsbereitschaft bemerkbar. So machten sich aus ganz Deutschland Freiwillige auf, um im Ahrtal zu helfen. Auch aus dem Landkreis Donau-Ries fahren jedes Wochenende Menschen in den kleinen Weiler Marienthal und helfen dort beim Wiederaufbau. Sie nennen sich Fluthilfe Nordschwaben.

Jörg Wörle ist einer von ihnen. 2013 war er nach dem Hochwasser in Passau, 2016 in Braunsbach und 2017 in Otting. Was er aber im Ahrtal erlebt hat, hat bis heute Spuren bei ihm hinterlassen. „Ich habe Freunde in der Ecke. Einer war vierzehn Stunden auf dem Dach seines Hauses gefangen, sah Menschen ertrinken und wusste nicht, was mit ihm geschieht. Da war mir klar, diesen Menschen muss ich helfen.“ Bereits am Wochenende nach der Flut fuhr er mit einem Freund Stroh und Heu zu einem Pferdehof im Katastrophengebiet. „Und das, obwohl wir uns eigentlich sagten, 430 Kilometer sind zu weit weg. Da können wir nicht wirklich helfen“, erzählt der Reimlinger weiter. Dennoch fuhr er am kommenden Wochenende wieder nach oben. Er half, wo er konnte, und schloss erste Freundschaften.

Diese Menschen haben alles verloren. Diese riesigen Müllberge sind nicht nur Sperrmüll, es sind Erinnerungen, es sind Existenzen. Deshalb sind die Menschen uns auch so dankbar, weil wir sie nicht nach Sozialversicherungsnummern oder Versicherungsschutz fragen. Wir fragen: Wo können wir helfen?“

Perspektivlosigkeit bei Heinz-Adolf Schneider. In sein Wohnhaus in Marienthal wird er wohl nicht mehr zurückkehren. Bild: privat

Wenn die Flut alles nimmt

Heinz-Adolf Schneider hat mit seinen über 70 Jahren schon vieles erlebt. Schon immer lebte er im Weiler Marienthal. In der Flutnacht stand sein Wohnhaus fast komplett unter Wasser. Er selbst rettete sich auf das Dach und kam nur knapp mit dem Leben davon. In den Wochen danach wurde sein Haus komplett entkernt und es soll nun renoviert werden. Bewohnt wird es aber nicht mehr von dem Rentner. Er hat sich nach langen Überlegungen dazu entschieden, nicht mehr nach Marienthal zurückzukehren, sondern wird seinen Lebensabend nun nicht mehr in seiner Heimat verbringen.

Mehr als 4 000 Stunden ehrenamtliche Arbeit

Nach einer weiteren Woche sprechen immer mehr Leute den Unternehmer Wörle auf sein Engagement an und wollen helfen. Er telefoniert und findet in Philipp-Erik Breitenfeld von der Nördlinger Firma Humanus einen Sponsor, der zusagt, die Kosten für einen Reisebus zu übernehmen. Vom Brauhaus Fürst Wallerstein kommen Getränkespenden, Uli Wenger vom Wengers Brettl kocht Rouladen für die Helfer*innen. An diesem Wochenende fahren erstmals über sechzig Helfer und Helferinnen ins Ahrtal. Die Hilfe konzentriert sich besonders auf den kleinen Weiler Marienthal. Rund einhundert Menschen lebten hier vor der Katastrophe, einige starben in der Flut. Dennoch haben die Menschen nicht aufgegeben und wollen ihr Dorf wieder aufbauen – und das durch die tatkräftige Hilfe der Fluthilfe Nordschwaben. Als der Bus aus dem Ries in den frühen Morgenstunden im Dorf ankam, wurden die Helfer*innen auf verschiedene Arbeitsbereiche eingeteilt. Einige sammelten Müll aus den Weinbergen und Wiesen, andere zogen Kabel aus Wänden und wieder andere halfen bei der Verpflegung. „Es geht hier nicht nur ums Helfen. Die Menschen vor Ort wünschen sich auch, dass ihnen jemand zuhört, dass sie jemand in den Arm nimmt. Das ist eine Geste, die leider unterschätzt wird“, erklärt Wörle.

Für die Aufbauarbeiten ist auch die Hebebühne von Jörg Wörle im Einsatz. Von dort oben wird das Ausmaß der Katastrophe nochmals deutlich. Bild: privat

Warum schmutzige Weinflaschen den Menschen vor Ort helfen

Mittlerweile haben die Ehrenamtlichen mehr als 4 000 Stunden Arbeit im Ahrtal geleistet, dazu kommt gespendetes Material und die jeweils sechsstündige Busfahrt. Doch nicht nur direkt vor Ort ist die Hilfsbereitschaft groß. Auch von der Region Donau-Ries aus wird geholfen. So wurden auf dem Nördlinger Wochenmarkt Flutkörbchen verkauft, deren Erlös ins Ahrtal geflossen ist. Außerdem brachten die Helfer*innen aus der Weinbauregion Ahrtal Wein mit ins Ries. Die Flaschen des „Flutweins“ sind durch das Hochwasser verschmutzt, geschmacklich ist der Wein jedoch einwandfrei. Auch der Verkaufserlös dieses Weins kommt den Bewohner*innen des Ahrtals zugute. „Die Hilfsbereitschaft ist weiterhin groß. Ich hoffe nur, dass sie auch hoch bleibt,“ so Jörg Wörle abschließend.

Ein Haus für Freunde

Um die Verbindungen ins Ahrtal und besonders nach Marienthal aufrecht zu halten, planen die Helfer*innen nun mit Unterstützung durch die Zimmerer- und Schreinerinnung Donau-Ries ein Haus zu errichten. Das Freundschaftshaus soll im Ortskern von Marienthal entstehen und der neue Treffpunkt des Weilers werden. Direkt daneben soll das Heizhaus entstehen. Aus diesem Gebäude werden dann alle Häuser zentral mit Wärme versorgt. Somit muss nirgends mehr eine Ölheizung installiert werden. Die Gesamtkosten für das Projekt werden bei rund 50.000 Euro liegen. Bereits jetzt gibt es zahlreiche Zusagen für Materialspenden. Gebaut wird es dann von den Zimmerer-Lehrlingen im 1. Lehrjahr der Berufsschule Donauwörth. Montieren sollen es die Junggesellen der Zimmerer-Betriebe im kommenden Jahr in Marienthal. Die Initiative aus dem Landkreis Donau-Ries hat nun auch das ganze Dorf erfasst, das sich nun generell über die neue Strukturierung des Dorfplatzes Gedanken macht. Rolf Schmitt ist einer der Vorsitzenden des Hilfevereins aus Marienthal. „Wir wollen, dass das Marienthal wieder so schön wird, wie es früher war. Deshalb soll auch der Ortsplatz mit dem Freundschaftshaus noch weiter aufgewertet werden. Im Rahmen der Dorferneuerung könnte so ein Wasserlauf installiert werden und der Spielplatz hierhin verlegt werden“, erzählt Schmitt. „Abschließend vielen Dank an all die lieben Menschen im Donau-Ries, die sich so für unsere Heimat einsetzen!“