Im vergangenen Jahr hat Brigitte Weng den Christel DeHaan-Sozialpreis der Stadt Nördlingen verliehen bekommen. Damit wurde sie für ihr soziales Engagement ausgezeichnet. Unter anderem kümmert sie sich seit Jahrzehnten um ihren an Multiple Sklerose erkrankten Mann sowie ihren Sohn, der von Geburt an auf Pflege und Betreuung angewiesen ist. Unser Redakteur Manuel Habermeier hat mit ihr über den Preis gesprochen und wie sie sich trotz aller Herausforderungen im Leben ihre innere Fröhlichkeit bewahrt.
DRA: Sie haben im Jahr 2024 den Christel DeHaan-Sozialpreis verliehen bekommen. Wie blicken Sie nun mit etwas Abstand auf diese Ehrung?
Weng: Zuerst einmal will ich mich bei Oberbürgermeister David Wittner und der Stadt Nördlingen für die wunderschöne und würdige Verleihung bedanken. Den Christel DeHaan-Preis habe ich eigentlich nur angenommen, weil ich das Projekt Green Village Children Center in Uganda unterstütze – so ehrlich bin ich. Da gab es ein Preisgeld dafür und von diesem Geld bauen wir in an der St. Philomena Schule einen Schlafsaal. Dort gehen Aids-Waisen zur Schule – also Kinder, die keine Eltern mehr haben.
DRA: Sonst hätten Sie den Christel DeHaan-Sozialpreis nicht angenommen?
Weng: Der Preis hat mich schon sehr gefreut. Aber ich will nicht so im Vordergrund stehen.
DRA: Solche Preise sollen auch Menschen eine Bühne bieten, die sonst nicht im Rampenlicht stehen. Hat sich für Sie nach der Preisverleihung etwas verändert?
Weng: Ich habe danach sehr viel Aufmerksamkeit bekommen. Viele Leute haben mir dazu gratuliert und sich mit mir gefreut. Das war überwältigend, wie viele Menschen sich gemeldet haben.
DRA: Wer hat sich alles bei Ihnen gemeldet?
Weng: Es waren viele Freunde und die Familie, die uns hilft und unterstützt. Wir haben Freunde, die meinen Sohn schon jahrelang ehrenamtlich begleiten. Er wird von allen gut angenommen. Sogar der Staatsminister für Digitales, Dr. Fabian Mehring, hat sich bei mir gemeldet.
DRA: Sehen Sie den Preis auch als eine Würdigung des ganzen Netzwerks, das Sie unterstützt?
Weng: Es gibt viele Menschen, die im sozialen Bereich sehr aktiv sind und auch gerade Behinderten unter die Arme greifen. Ich merke da sehr viel Freundlichkeit in meinem Alltag. Mein Sohn spricht gerne andere Menschen an und stellt Fragen. Da habe ich es noch nie erlebt, dass jemand zu ihm unfreundlich gewesen wäre.
DRA: Oft bekommt man das Bild, dass das gesellschaftliche Miteinander immer kälter wird. Die Erfahrung scheinen Sie nicht zu machen.
Weng: Ich erlebe in der Gesellschaft wirklich sehr viel Positives und Zuspruch. Da gab es noch nie irgendwas Negatives.
DRA: Sind Ihnen da besondere Momente speziell in Erinnerung geblieben?
Weng: Es geschehen jeden Tag positive Dinge.
Soziales Engagement als Vermächtnis der Eltern
DRA: Sie sind mit der Pflege Ihres Mannes und Ihres Sohnes stark eingebunden. Nebenher sind Sie noch beruflich aktiv. Wie bekommen Sie das alles im Alltag unter einen Hut?
Weng: Man gewöhnt sich daran. Für jede Aufgabe hat man so und so viel Zeit. Das ist irgendwann in einem drin, das kommt von allein. Von Natur aus bin ich ein sehr fröhlicher Mensch und schaffe gerne. Das ist alles eine Einteilungssache.
DRA: Wurde Ihnen das im Elternhaus so vorgelebt?
Weng: Natürlich. Meine Eltern waren in der Landwirtschaft, meine Geschwister und ich sind auf dem Hof aufgewachsen. Wir haben gelernt, zu arbeiten. Genauso wie füreinander da zu sein und sich zu engagieren. Meine Eltern waren sehr sozial eingestellt und haben uns das vorgelebt. Dazu sind wir vier Kinder und hatten einen sehr großen Zusammenhalt. Das zeigt sich auch heute noch. Wir sind noch jeden Tag im Austausch. Alles in allem kann man sagen: Wir mussten schaffen, hatten aber eine sehr fröhliche Kindheit.
DRA: Dann ist Ihr soziales Engagement auch eine Art Vermächtnis der Eltern?
Weng: Auf jeden Fall. Und die Kirche spielt auch eine wichtige Rolle. Wir sind christlich erzogen worden. Daher waren Werte wie Nächstenliebe und Caritas immer allgegenwärtig und sind bis heute eine Selbstverständlichkeit für mich. Wenn man helfen kann, hilft man. So gehört sich das.
DRA: Haben Sie bei all den Verpflichtungen noch Zeit, auszuspannen?
Weng: Früher waren wir oft mit dem Schiff unterwegs. Mittlerweile mache ich sehr gerne Pilgerreisen. Es gefällt mir, mich in der Freizeit mit Theologie zu beschäftigen. Das muss nicht immer nur katholische Theologie sein, sondern allgemein das Thema.
DRA: Wie sieht diese Beschäftigung aus?
Weng: Wir sind zum Beispiel öfters im Kloster Heiligenkreuz bei Wien. Da sind wir jedes Jahr. Wie die Patres beten, der Gesang, die Ruhe, das begeistert mich. Und man trifft dort immer interessante Menschen. Diese Gespräche mit unterschiedlichen Menschen geben mir viel. Das ist auch nicht auf bestimmte Themen begrenzt. Ich freue mich über alles, was mir erzählt wird. Einmal habe ich einen jungen Mann getroffen, der früher Atheist war. Der ist durch ein privates Erlebnis zum Glauben gekommen und hat für sich zu Gott gefunden. Ich habe mich als Kind schon immer dafür interessiert, was Menschen bewegt und das hat sich bis heute nicht geändert.
DRA: Besuchen Sie nur das Kloster Heiligenkreuz oder gibt es auch noch andere Orte?
Weng: Ich bin auch viel in Medjugorje in Bosnien. Das ist mein Lieblingsort, da fahre ich schon seit über 20 Jahren hin. Da soll seit 1981 die Mutter Gottes erscheinen. Das ist auch das Geburtsjahr meines Sohns. Wir hatten zu Beginn keine Hoffnung, weil er so krank war. Da habe ich zu meinem Mann gesagt, dass ich mal an diesen Ort will. Vielleicht wird er gesund. Man klammert sich an jede Hoffnung.
DRA: Was geben Ihnen solche Orte?
Weng: In Medjugorje sind wir seit 20 Jahren immer in derselben Pension. Mit den Menschen sind wir befreundet. Das ist wie heimkommen. Medjugorje muss man erleben, das kann man nicht beschreiben. Und wenn ich dann wieder hier bin, habe ich wieder Kraft für den Alltag.
DRA: Der Alltag hält mit dem Mann und Sohn viele Herausforderungen bereit. Haben Sie mit der Situation auch mal gehadert?
Weng: Klar war es am Anfang schwierig, sich mit der ganzen Situation abzufinden. Das war eine große Herausforderung. Das hat auch seine Zeit gedauert. Aber man darf nicht darüber nachdenken, wie es wäre, wenn es anders gekommen wäre. Wir kennen unseren Sohn nicht anders und das muss man annehmen.
Man muss jeden Tag die Situation neu annehmen
DRA: Wo haben Sie die größte Unterstützung in diesem Prozess erfahren?
Weng: Unterstützung gab es von überall. Meine größte Stütze war mein Mann. Er hat mir geholfen, die Situation anzunehmen. Man darf nicht denken, dass das Kind so sein muss, wie man es sich wünscht. Es ist so, wie es ist. Man kann nur sein Bestes geben, denn aufgeben macht es nicht besser. Wir unterstützen ihn auf seinem schwierigen Weg. Das ist unsere Lebensaufgabe. Unser großer Sohn unterstützt uns auch sehr viel in unserem Alltag. Er hat als Jugendlicher ein soziales Jahr absolviert, das war sehr hilfreich. Ich würde mir wünschen, dass mehr Jugendliche so ein Jahr durchlaufen. Sie können viel für ihr Leben lernen, nicht alles ist selbstverständlich.
DRA: Wie lange dauerte dieser Prozess des Annehmens?
Weng: Man muss die Situation jeden Tag neu annehmen. Das geht ein ganzes Leben lang. Meine Eltern, die Schwiegereltern und der Bruder meines Mannes waren da auch eine große Hilfe – genauso wie jeder hier im Umfeld. Das war eine große Unterstützung. Aber tragen muss man es am Schluss allein.
DRA: Wie ist es hier in der Dorfgemeinschaft?
Weng: Wir sind noch im Schützenverein. Da ist mein Mann Ehrenmitglied. Zudem ist er noch in der Feuerwehr. Die Feuerwehrleute kommen immer noch regelmäßig vorbei und schauen nach meinem Mann. Das ist immer ein riesiges Halligalli. Der Nachbar kümmert sich um meinen Sohn, zu dem kann er immer mit seinen Fragen gehen. Also die Dorfgemeinschaft ist schon eine tolle Sache. Wir sind zudem noch passiv im Schützenverein.
DRA: Was haben Sie beruflich gelernt?
Weng: Ich habe Hauswirtschaft gelernt, weil Backen und Kochen meine Leidenschaft ist. Später habe ich meinen Mann kennengelernt und wir haben geheiratet. Im kommenden Jahr sind es dann 50 Jahre.
DRA: Wie blicken Sie auf diese gemeinsame Zeit zurück?
Erwin Weng: Ich würde sie sofort wieder heiraten! (lacht)
Weng: Ich würde ihn auch sofort wieder heiraten. Auch wenn ein Mensch so schwer behindert ist, kann er einem unglaublich viel Kraft geben. Er hat sich noch nie beklagt oder gehadert. In einer gewissen Weise ist es auch interessant, was er denkt, wie er fühlt und was man von ihm zurückbekommt. Ich ziehe den Hut vor behinderten Menschen, wie sie jeden Tag ihren Alltag meistern. Sie sind eine große Bereicherung für unsere Gesellschaft. Ich bewundere das.
DRA: Sie wirken wie ein sehr positiver Mensch. Wie ist Ihre Herangehensweise an das Leben?
Weng: Es ist nicht einfach, immer alles anzunehmen. Es ist ein Lernprozess, das kommt Stück für Stück. Es gibt auch kein Patentrezept. Jede Herausforderung muss anders angenommen werden. Aber ich habe von Natur aus eine gewisse Fröhlichkeit in mir. Die will ich mir immer bewahren. Und dann heißt es auch mal: Augen zu und durch - egal, wie es kommt!
DRA: Gibt es einen Tipp, den Sie anderen Menschen geben könnten?
Weng: Nicht verzweifeln und immer für den Augenblick leben. Was ist jetzt gerade für mich wichtig? Dieses Denken habe ich mir angewöhnt.
Erwin Weng: Sie ist wirklich ein sehr fröhlicher Mensch.
Weng: So bin ich halt, das ist bei mir angeboren. (lacht)
Erwin Weng: Wir machen auch viel zusammen. Sie nimmt mich überall hin mit.
Weng: Es gibt auch nichts, wo ich meinen Mann allein lasse. Er kommt überall mit. Das ist für uns selbstverständlich.
DRA: Wie bewahren Sie sich diese innere Fröhlichkeit?
Weng: Man darf nicht immer daran denken, was in der Zukunft sein könnte. Das ist nur Energieverschwendung, ohne eine Antwort zu finden. Ich lebe heute und so wie es ist, so ist es. Da mache ich das Beste daraus.
DRA: Wir haben jetzt viel über den Alltag und das Umfeld gesprochen. Wie ist der Kontakt mit Ämtern, Behörden oder Krankenkassen?
Weng: Wir bezahlen vieles selbst. Ich finde es schade, dass die Pflege zu Hause mit weniger Pflegegeld unterstützt wird als im Heim. Mit besserer Unterstützung könnten mehr Menschen bei ihrer Familie gepflegt werden. Aber man muss auch mal sagen: Wir haben ein gutes Gesundheitssystem. Daher bin ich mit der Situation sehr zufrieden. Und auch mit der Bürokratie könnte ich nicht sagen, dass ich da ein Problem habe. Ich habe meine direkten Anlaufstellen und die unterstützen mich. Ich hoffe, dass ich die Pflege für meinen Mann noch lange machen kann. Ich muss auch die Kraft haben und gesund bleiben. Man muss jeden Tag schätzen, an dem es noch geht.
DRA: Gibt es eine Zukunftsplanung?
Weng: Nein, ich lebe für den Augenblick. Der Zeitpunkt, das entscheiden zu müssen, wird irgendwann kommen und dann wird eine Entscheidung gefällt. Aber im Moment mache ich mir keine Gedanken darüber. Warum sollte ich damit jetzt schon Zeit verschwenden?
DRA: Erfahren Sie eigentlich auch Mitleid für Ihre Situation?
Weng: Ja, das gibt es schon auch. Aber das ändert ja auch nichts. Und ich bin auch auf niemanden neidisch – auf deren gesunde Kinder oder den gesunden Mann. Das können viele nicht verstehen, aber es ist so. Man muss auch dankbar sein. Wenn man die Situation annimmt und mit ihr lebt, ist es nicht so schwierig, wie es von außen vielleicht aussieht.
DRA: Vielen Dank für das Gespräch!
Wer mehr über das Projekt Green Village Children Center erfahren möchte, kann dies unter: www.greenvillagechildrencenter.de