Als im Mai 2016 die Zwillingsfrühchen von Anna-Maria und Bernd Böswald kurz nach der Geburt sterben, bricht für das Paar aus Tapfheim eine Welt zusammen. Die Schwangerschaft war ohnehin nicht einfach, doch mit einem so tragischen Ausgang hatten sie nicht gerechnet. Die Zeit nach dem Tod ihrer beiden Söhne
ist geprägt von tiefer Trauer, Schmerz und einem Gefühl der Isolation.
Vier Jahre nach diesem (ersten) Schicksalsschlag beschießt Anna- Maria Böswald, ihre Erfahrung in etwas Hilfreiches zu verwandeln. 2020 gründet sie den Verein Sterneneltern Schwaben e. V. Ziel des Vereins ist es, Eltern in vergleichbaren Situationen zu begleiten, ihnen Halt zu geben, Fragen zu beantworten und Wege des Abschieds und der Erinnerung aufzuzeigen. Seit der Vereinsgründung haben Anna-Maria Böswald und ihr Team viel bewegt. Sie haben in den letzten Jahren mehrere Hundert Familien schon ab der Diagnose – wenn das Herz eines Kindes aufgehört hat zu schlagen – begleitet.
Die Ehrenamtlichen bieten Gespräche, Aufklärungsbroschüren und Hilfen wie mobile Kühlmatten oder „Himmelbettchen“ für Bestattungen an. Ein Herzensprojekt sind die Erinnerungswälder für Sternenkinder, die bereits im Landkreis Donau-Ries, bei Neu-Ulm und in Unterroth entstanden sind. Weitere sollen in Regensburg und Landshut folgen.
Dort können Familien Apfel- oder Birnbäume mit Namensschild pflanzen, als Orte des Trostes und liebevollen Gedenkens. Anna-Maria Böswald hilft mit ihrem Verein anderen, ist eine Stütze und Mutmacherin – ihr eigener Kinderwunsch bleibt über die ganze Zeit allerdings nie aus. Sie und ihr Mann wünschen sich ein lebendes Geschwisterchen für ihren bislang einzigen Sohn.
Ein schwerer Start ins Leben
Als Anna-Maria Böswald dann endlich schwanger ist, steht die Familie erneuet vor einer schweren Zeit. Die Schwangerschaft ist nicht gerade einfach und Böswald muss die komplette Schwangerschaft über liegen und ist oft im Krankenhaus. Das Helpp-Syndrom, eine schwere Form der Schwangerschaftsvergiftung, zwingen Mutter und Kind zur Frühgeburt per Kaiserschnitt. „Jorin kam putzmunter zur Welt“, erinnert sich Anna-Maria Böswald.
Dass sich die Mutter „innerlich gegen das Stillen gesträubt“ hat, mag vielleicht mütterliche Intuition gewesen sein … Trotz allem tut sie es aber doch! Nur zwei Wochen nachdem die beiden nach Hause dürfen, beginnt der Albtraum für die Böswalds erneut. Dem kleinen Jorin geht es plötzlich schlechter. Zur Sicherheit fahren seine Eltern mit ihm in eine Kinderklinik. Vater Bernd bringt das Kind in die Notaufnahme, als seine Frau eine Stunde später zu Mann und Kind kommt, ist die Welt nicht mehr, wie sie einmal war. Jorin hat einen septischen Schock, die Ärzte kämpfen um sein Überleben – drei Tage lang.
Der Säugling hat ständig Atemaussetzer, sein Zustand ist absolut kritisch und die Eltern sollen sich von ihrem Kind verabschieden. Ein Psychologe im Krankenhaus sucht das Gespräch mit den sorgenerfüllten Eltern, sogar über eine mögliche Beerdigung des Kindes wird gesprochen. Stunde um Stunde kämpft der kleine Jorin ums Überleben – und er kämpft sich zurück! Fast wie ein kleines Wunder scheint es, als sich sein Zustand allmählich bessert und er schließlich wieder vollkommen gesund wird.
Auslöser waren B-Streptokokken – die Muttermilch von Anna-Maria Böswald war damit infiziert. Woher die Infektion kam, ist bis heute unbekannt, zumal bei jeder Gebärenden vor Geburt getestet wird. So ist es eigentlich auch bei Anna-Maria Böswald geschehen. Jorin ist heute vier Jahre alt, entwickelt sich normal und trägt keinerlei Beeinträchtigungen von seinem schweren Start ins Leben davon.
Auf die Frage, wie Anna-Maria Böswald trotz allem weiterkämpft, für sich, für ihre Familie und in ihrem Verein für andere Sterneneltern findet sie eine lange und ergreifende Antwort: „Ich trage immer das Wissen in mir, dass mir das Schlimmste schon passiert ist. Ich habe meine beiden Kinder in den Tod begleitet. Sie haben beide unabhängig voneinander ganz am Ende meinen Finger gedrückt zum Abschied, und dann musste ich sie gehen lassen. Für immer. Ich bin ihrem kleinen weißen Sarg zu diesem großen schwarzen Loch gefolgt – das sehe ich bildlich häufig vor mir – und wusste, dieses Dunkel gibt sie mir nie wieder zurück.
Ein Teil von mir ist damals mitgegangen, aber ein anderer Teil ist geblieben. Und der Teil hat damals so kämpfen müssen, um einfach nur zu existieren. Und irgendwann wusste ich dann, was soll da noch kommen? Das Schlimmste, was mir hätte passieren können, habe ich überlebt. Schlimmer kann es nie mehr werden. Und das nimmt mir die Angst vor eigentlich allem seit vielen Jahren. Also kurz gesagt. Wovor sollte ich noch Angst haben?“