1. Januar 2021, 16:10
Regionalgespräch

Auf ein Tässchen mit Birgit Baier

Dr. Birgit Baier ist mit ihrem Notarztwagen
im südlichen Landkreis unterwegs. Bild: Mara Kutzner
Auch im aktuellen blättle haben wir eine interessante Persönlichkeit aus dem Landkreis zum Gespräch getroffen. Notärztin Birgit Baier hat uns 50 Fragen beantwortet.

Guten Tag, Frau Baier. Schön, dass ich Sie besuchen darf und Sie sich Zeit für unser Regionalgespräch nehmen. Das Gespräch steht immer unter dem Motto „Auf ein Tässchen mit ...?.
 

1 Was trinken Sie, Tässchen Kaffee oder Tässchen Tee?
Eine große Tasse Milchkaffee.

2 Essen Sie eher süß oder deftig?
Lieber deftig.

3 Tragen Sie lieber Hose oder Kleid?
Hose, das letzte Kleid habe ich bei meiner Hochzeit getragen.

4 Urlaub oder Balkonien?
Faulenzer Urlaub auf dem Camping Platz in Frankreich zum Beispiel.

5 Ärztin – ein Beruf oder eine Berufung?
Berufung.

6 Beschreiben Sie sich doch einmal mit drei Worten.
Witzig, auf-den-letzten-Drücker-Mentalität, perfektionistisch

7 Wo sind sie aufgewachsen?
Ich komme aus dem Allgäu. Genauer gesagt aus Durach bei Kempten.

8 Wie sind Sie dann in Donauwörth gelandet?
Zum Studieren war ich in Ulm, später praktizierte ich dann in Aalen. In Donauwörth wurde dann – damals noch im alten Krankenhaus – eine Stelle in der Inneren Abteilung frei. Ich habe mich dort vorgestellt und habe den Arbeitsplatz bekommen.

9 War Ärztin auch als Kind Ihr Traumberuf?
Meine Mutter hat mir erzählt, ich wollte immer Tierärztin werden, weil ich den Marienkäfern die Flügel wieder ankleben wollte.

10 Warum haben Sie sich dann tatsächlich für den Beruf Ärztin entschieden?
Es ist der tollste Beruf der Welt.

11 Was macht einen guten Arzt oder eine gute Ärztin aus?
Das richtige Gespür für den Patienten, Wissen und handwerkliches Können.

Mittlerweile sind Sie nicht mehr Ärztin im Krankenhaus, sondern als freiberufliche Notärztin unterwegs.

12 Wie kam es dazu, dass Sie dann Notärztin wurden?
Eigentlich war der Job mal zum Zeit überbrücken gedacht, weil ich eine Stelle im Bayerischen Wald bekommen habe. Aber die Arbeit als Notärztin war so cool, dass ich dabei geblieben bin.

13 Wie lange üben Sie den Beruf schon aus?
Genau seit dem 2. Januar 1995. Um 20:02 Uhr war mein erster Einsatz.

14 Für welchen Einsatz-Bereich sind Sie zuständig?
Alles was im Kreis zwischen Monheim, Wolferstadt, Huisheim, Gosheim, dem halben Kesseltal mit Bissingen und Tapfheim, Ellgau, Rain, Marxheim und Rögling liegt. Der Notarztstandort Donauwörth ist flächenmäßig der größte in Bayern.

15 Erklären Sie uns doch mal den Ablauf vom Anruf bei der 112 bis Sie dann bei der verletzten Person ankommen?
Wer bei der 112 anruft, kommt im besten Fall bei meinem Ehemann raus. Der arbeitet nämlich auf der Integrierten Leitstelle in Augsburg. Dort wird entschieden, wer zum Einsatzort kommt. Wenn ich gebraucht werde, geht mein Piepser. Über Funk wird dann durchgesagt, um was es ungefähr geht. Ich komme also nicht ganz ohne Hintergrundinfo zum Einsatzort. Manchmal stimmt es aber auch gar nicht oder man bekommt keine Info. Wenn zum Beispiel bei einem Betriebsunfall ein Mitarbeiter aus dem Büro oder der Pforte den Notruf absetzt und gar nicht erklären kann, was genau passiert ist.

16 Müssen Sie immer auf der Rettungswache warten, bis Notrufe eingehen?
Normalerweise ist das so. Da ich aber ganz in der Nähe der Rettungswache am BRK-Zentrum in Donauwörth wohne, kann ich zu Hause bleiben. Wenn ich zum Einsatz muss, holt mich ein Fahrer ab.

17 Warum kommen manchmal nur die Sanitäter ohne einen Notarzt?
Genau das entscheidet die Rettungsleitstelle. Je nachdem, was die Anrufer angeben, wird entschieden, was zu tun ist und wer zum Notfallort kommt.

18 Was passiert, wenn gerade alle Sanitäter und auch Sie im Einsatz sind, und genau dann ein Notruf abgesetzt wird?
Es gibt ja nicht nur in Donauwörth eine Rettungswache. Wenn die Einsatzkräfte aus Donauwörth gerade unterwegs sind, werden die Rettungswägen aus Monheim, Rain, Harburg oder Nördlingen alarmiert. Auch die Notärzte aus Nördlingen, Neuburg oder Wertingen können dann ausrücken.

19 Werden manche Notrufe auch unnötig abgesetzt, weil man auch selbst in die Notaufnahme oder zu einem Bereitschaftsarzt fahren könnte?
Ja, das kann schon vorkommen. Es liegt dann meistens an Verständigungsproblemen. Manche Patienten schildern die Fälle katastrophaler als sie sind. Oder bei Betriebsunfällen rufen oft die Büromitarbeiter an und sagen es gab im Betrieb einen Notfall. Die Rettungsleitstelle fragt dann genauer nach, und der Mitarbeiter sagt nur, dass er nicht weiß was los ist. Das kann dann von einem Herzinfarkt bis zu einem gebrochenem Bein alles sein. Aber oft genug ist es auch andersherum, dass zum Beispiel ältere Menschen einen Herzinfarkt hatten, und dann noch selbst mit dem Fahrrad ins Krankenhaus fahren.

20 Was muss man denn beachten, wenn man die 112 wählt, damit es nicht zu solchen Missverständnissen kommt?
Einfach die Fragen beantworten, die derjenigen am anderen Ende der Leitung stellt und erst auflegen, wenn keine Fragen mehr gestellt werden. Am besten ist es auch, wenn man jemanden vor das Haus schickt oder an die Pforte, wenn der Weg zum Notfall etwas komplizierter ist, in einem Hinterhof oder einem rückwärtigen Gebäude zum Beispiel. Außerdem sollte man immer bedenken, dass bei einem Notarzteinsatz zwei Fahrzeuge kommen. Der Rettungswagen und der Notarzt im Pkw. Unter Umständen rücken auch noch Feuerwehr und Polizei aus.

21 Wie lange dauern Ihre Schichten und wie viele Einsätze fahren Sie dann?
Unsere Schichtwechsel sind immer um 7:00 Uhr oder um 19:00 Uhr. Ich fülle den Dienstplan auf wo Lücken sind. Eine  Schicht geht dann schon auch mal 36 Stunden. In 24 Stunden habe ich durchschnittlich 6 Einsätze. Nachts sind es im Schnitt 2 und untertags 4. Meine längste Nullschicht waren 36 Stunden ohne Einsatz.

22 Wegen welchen Krankheiten oder Verletzungen werden Sie am meisten gerufen?
Am häufigsten sind es Herzinfarkte oder deren Symptome, Schlaganfälle, Atemnot und Bewusstlosigkeit. Diese Krankheiten nehmen wohl zwei Drittel aller Einsätze ein. Nur ungefähr 5 Prozent sind Verkehrsunfälle.

23 Sie müssen bei Ihren Einsätzen bestimmt innerhalb von Sekunden entscheiden was zu tun ist. Wie hoch ist der Druck, etwas falsch zu machen – immerhin hängen oft Menschenleben davon ab?
Ja, das stimmt. Ich muss entscheiden, den Patienten zur richtigen Zeit in die richtige Klinik zu bringen. Wenn man aber Zeit hat, sich Gedanken zu machen, etwas falsch zu machen, hat man schon etwas falsch gemacht. Vieles sind Automatismen, die routiniert laufen. Reanimieren kann man zum Beispiel mega gut trainieren, weil das läuft immer nach Schema ab.

24 Bei so viel Leid, Verletzungen, Krankheiten und auch Tod in Ihrem Berufsalltag – kann man da eigentlich noch Spaß an der Arbeit haben?
Natürlich. Man kann ganz schnell Leben retten und das ist ein unglaublich befriedigendes Gefühl. Manchmal geht es auch ganz lustig zu. Ich kann mich noch an einen Unfall auf der B2 erinnern. Zwei ältere Frauen waren da in einem Auto eingeklemmt. Ich bin dann ins Auto rein gekrabbelt und habe nach ihnen geschaut. An sich ging es ihnen gut, aber sie waren eben eingeklemmt. Ich hab dann im Auto mit ihnen darauf gewartet, bis die Feuerwehr sie rausgeholt hat. Solange hatten wir eine lebhafte, fast kaffeekränzchenartige Unterhaltung im Auto.

25 Sind Sie nach so vielen Einsätzen noch erschrocken oder geekelt, wenn Sie an einen Einsatzort kommen?
Eine Messiwohnung, die völlig verdreckt ist und dort schon jemand liegt der seit zwei Monaten tot ist, den Geruch bekommt man lange nicht aus der Nase. Ansonsten ekele ich mich nicht. Eine Frau, der wir helfen mussten, war völlig eingekotet im Bad gelegen. Bevor wir sie ins Krankenhaus gebracht haben, haben wir sie erst einmal saubergemacht. Sonst wäre das einfach unwürdig gewesen. Einmal musste ich mich aber tatsächlich übergeben. Das war, als wir mehrere stark alkoholisierte Menschen behandelt haben und dann ins Krankenhaus gebracht haben. Am Ende der Fahrt war mir dann auch schlecht.

26 Gab es trotzdem Einsätze, die Sie nicht mehr loslassen?
Das kommt nicht unbedingt täglich vor, aber vor allem, wenn Kinder dabei sind, ist es belastend. Zum Beispiel, wenn ein Elternteil stark betrunken ist und die Kinder verletzt hat. Oder wenn Menschen sterben, während man gerade noch dabei ist, ihnen zu helfen.

27 Wie verhalte ich mich richtig, wenn ich zu einem Autounfall komme, bei dem eine Person verletzt wurde?
Als erstes schauen Sie, dass sie nicht selbst überfahren werden. Gehen Sie weg von der Fahrbahn und ziehen Sie die Warnweste an! Sichern Sie die Unfallstelle ab! 112 funktioniert europaweit und auch wenn Sie die Sprache nicht sprechen, solange Sie vermitteln können, wie viele Leute betroffen sind, ist schon viel geholfen. Und haben Sie keine Angst, vor brennenden, explodierenden Autos, die gibt es meistens nur in Filmen.

28 Am besten wird es sein, seinen Erste-Hilfe-Kurs regelmäßig aufzufrischen. Was empfehlen Sie da?
So wie das Auto alle zwei Jahre zum TÜV muss, sollte man auch alle zwei Jahre zu einem Erste-Hilfe-Kurs gehen.

Lassen Sie uns nun etwas allgemeiner über den Notarzt- und Gesundheitsstandort Donau-Ries sprechen.

29 Ist der Landkreis im Bereich Notärzte gut ausgestattet oder unterbesetzt?
Ich würde sagen, gerade so ausreichend. Wir sind 16 Ärzte, die aber nicht immer einsatzfähig sind. In Nördlingen ist es noch etwas schwieriger als in Donauwörth. Aber es gibt auch Standorte in Bayern, die weitaus schlechter besetzt sind, als wir. Aber keiner braucht Angst zu haben, dass kein Notarzt kommt.

30 Und im Bereich der niedergelassenen Haus- und Fachärzte sowie der Kliniken?
Eigentlich sind wir noch gut versorgt. Das Problem ist, dass kein Nachwuchs nachkommt.

31 Wo gibt es Probleme? Oder besser gesagt: Welche Verbesserungen im Gesundheitswesen wünschen Sie sich?
Das Problem ist die Politik. Die rationiert immer mehr. Die Budgets für Ärzte innerhalb denen sie Medikamente verschreiben dürfen und Regress, also Strafzahlungen, wenn das Budget überschritten wird, müssten abgeschafft  werden.

Ich habe gelesen, dass Sie auch beim AK Suchtprävention mitarbeiten und Vorträge in Schulen zum Thema Alkoholismus halten.

32 Wie genau klären Sie die Schüler zu dem Thema auf?
Ich spreche über Alkohol, Drogen und Sucht mit Schülern ab der 6. Klasse. Ich erkläre den Kindern und Jugendlichen das Thema als Notärztin und aus der medizinischen Sicht.

33 Wie groß schätzen Sie das Problem Alkohol und Drogen bei jungen Menschen ein?
Die Notfälle aufgrund von Alkohol sind im Schnitt 33 Jahre alt. Von 12 bis 78 Jahren ist da alles dabei. Die Jüngeren sind aber eher von der Drogensucht betroffen.

34 Ich kann mir vorstellen, dass Sie mit Ihren Berichten über Ihre Einsätze bei den Schülern bleibende Eindrücke hinterlassen. Wie reagieren die Schüler auf Ihre Geschichten und Bilder?
Ich zeige auch Bilder von Einsätzen, da sind die meisten dann betroffen und erschrocken und erkennen, dass gewisse Grenzen nicht überschritten werden sollten.

Sie selbst haben auch Kinder. Sprechen wir doch einmal über die Mutter Birgit Baier.

35 Wie viele Kinder haben Sie?
Ich habe drei Kinder.

36 Und wie alt sind sie?
Meine Kinder sind 12, 14 und 16 Jahre alt.

37 Wie bringen Sie Haushalt, Kinder und Beruf unter einen Hut?
Durch tatkräftige Unterstützung vom besten Ehemann. Er hatte damals auch Elternzeit genommen und seine Stunden auf 50 Prozent reduziert. Mittlerweile sind unsere Kinder ja schon groß und brauchen nicht mehr so viel Betreuung. Außerdem kann ich als freiberufliche Notärztin von zu Hause aus arbeiten und von dort zu den Einsätzen fahren, das ermöglicht auch vieles.

38 Wie gehen ihre Kinder damit um, dass ihre Mama ständig auf Abruf ist und oft von der einen auf die andere Sekunde weg muss?
Die sind mit Blaulicht aufgewachsen. Schon als ich schwanger war, habe ich als Notärztin gearbeitet.

39 Ist man als Ärztin bei den eigenen Kindern bei Krankheiten, Verletzungen oder Prävention übervorsichtig oder eher abgehärtet?
Eher abgehärtet.

Kommen wir nun zu unserem Self-Rating Test. Schätzen Sie sich von 0 (völlig unbegabt) bis zu 10 (sehr talentiert) ein.

40 Medizinerin?
7 Punkte. Ich bin Ärztin, nicht Medizinerin. Zum Arzt sein gehört noch mehr dazu.

41 Seelsorgerin?
6 Punkte.

42 Familienmensch?
5 Punkte.

43 Problemlöserin?
7 Punkte.

44 Pädagogin?
4 Punkte.

45 Kreativität?
8 Punkte.

Ihr Beruf und Ihre Familie fordern ganz schön viel von Ihnen. Hoffentlich kommen Sie selbst und Ihre Gesundheit dabei nicht zu kurz.

46 Was tun Sie selbst, um fit und gesund zu bleiben?
Ich zehre von meinen Genen, treibe Sport, verzichte auf Zucker, rauche nicht und trinke nur sehr wenig Alkohol.

47 Wobei können Sie entspannen?
Manchmal puzzle ich gerne, lese oder schaue ein gutes Fußballspiel.

48 Welches ist Ihr Lieblingsbuch?
Den Kommissar Kluftlinger lese ich gerne. Der Autor stammt aus meinem Dorf.

49 Haben Sie noch Zeit für ein Hobby?
Mein Beruf ist mein Hobby.

50 Können Sie unseren Lesern noch einen Gesundheitstipp geben, damit alle gut in den Frühsommer starten?
Haben Sie auch ein Gefahrenbewusstsein im Straßenverkehr. Halten Sie die Augen offen und schauen Sie auch nach hinten, bestehen Sie nicht immer auf Ihre Vorfahrt, wenn man dadurch einen Unfall verhindern kann und halten Sie Abstand zum Vordermann. Aber auch im Alltag gibt es Gefahren, die man beachten sollte. Ältere Leute sollten bitte Stolperfallen in der Wohnung vermeiden und nachts das Licht einschalten, wenn sie zur Toilette gehen. Bleiben´s einfach gsund, dass wir uns beruflich nie begegnen!

Frau Baier, vielen Dank für das spannende Gespräch und dass Sie sich die Zeit für uns und unsere Leserinnen und Leser genommen haben.