18. Dezember 2019, 08:00
Helden des Alltags

Beraten, vermitteln, zuhören

Sabine Bernert, Sozialarbeiterin Bild: Mara Kutzner
Wer in der Obdachlosenunterkunft landet, hat nahezu jedes soziale Netz verloren, welches ihn eigentlich auffangen könnte – sei es wegen Erkrankungen, Süchten oder großen finanziellen Schwierigkeiten. Alleine kommt selten jemand wieder raus aus der Szene. Deshalb gibt es Menschen wie Sabine Bernert. Die Sozialarbeiterin ist als Obdachlosenberaterin der Diakonie Donau-Ries in Nördlingen tätig. Teil 3 unserer Serie "Helden des Alltags".

Wenn Sabine Bernert zu ihrer Arbeitsstelle fährt, weiß sie meist nicht was sie erwartet. Nur eines ist sicher, sie hat es mit den Menschen zu tun, die am Rande der Gesellschaft leben, die die Gesellschaft schon fast vergessen hat. Bernert ist seit zwei Jahren als Obdachlosenberaterin in Nördlingen tätig. An zwei Tagen in der Woche ist die Sozialpädagogin jeweils in ihrem kleinen Büro in der Unterkunft für Wohnungslose im Nördlinger Gewerbegebiet „An der Lach“. Ständig klopft es an der Tür. Ein Bewohner braucht Hilfe, denn sein Hab und Gut, wofür er in der Unterkunft keinen Platz hat, muss zwischengelagert werden. Ein anderer hat ein Wespennest am Gebäude entdeckt, die Hausmeisterin muss verständigt werden. Wieder andere müssen ihren Jobcenter-Antrag ausfüllen, brauchen Hilfe beim Briefverkehr mit Versicherungen, benötigen Begleitung zu Behördengängen, Arztterminen oder einfach nur zum Einkaufen. Sabine Bernert hört zu, redet, telefoniert, organisiert, vermittelt, schlichtet. Sie selbst versteht sich als Bindeglied zwischen Bewohnern, Stadt, Behörden, Jobcenter, Gerichten und Versicherungen.

Die bayerische Gemeindeverordnung sagt, dass Kommunen dazu verpflichtet sind, obdachlosen Menschen eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen. Seit über drei Jahren steht das Fertighaus in Holzbauweise nun im Nördlinger Gewerbegebiet: 20 Zimmer, alle nicht größer als neun Quadratmeter. Zur Verfügung stehen Bett, Spind, Tisch, Stuhl und eine Nasszelle. Zum Teil wohnen die Bewohner auch zu zweit auf einem Zimmer. Eine Luxusunterkunft ist es wahrlich nicht, aber für Menschen in Not oft die letzte Anlaufstelle. Gerade leben 15 Bewohner in der Unterkunft, so Sabine Bernert. Die Gründe warum Menschen ihre Wohnungen verlieren, und dann keine andere Möglichkeit mehr haben, als in der Obdachlosenunterkunft unterzukommen, sind oft vielschichtig. Wer in Not gerät, Job und Wohnung verliert, für den sind Familie und Freunde normalerweise die erste Anlaufstelle. Bei den Bewohnern in Nördlingen ist das anders. „Es gibt kein soziales Netz, welches sie auffängt“, sagt die Sozialarbeiterin.

Zu Verwandten besteht zum Teil kein Kontakt mehr, der Freundeskreis hat oft die gleichen Probleme. Sabine Bernert arbeitet außerdem in der Drogenberatungsstelle, ist als rechtliche Betreuerin für psychisch Erkrankte tätig und hat früher in einer JVA gearbeitet. Bei ihrer Arbeit in der Obdachlosenunterkunft hat sie es quasi mit dem „Sammelbecken“ all dieser Schwerpunktthemen der Sozialen Arbeit zu tun. „Das äußert sich hier mit einer großen Frustrationsintoleranz und einer großen Suchtproblematik“, sagt Bernert ohne Vorwürfe zu machen. In die Lage ihrer Klienten kann sich die 48-Jährige hineinversetzen: Die Probleme sind groß, die Wohnsituation schwierig. Bernert hilft natürlich auch bei der Wohnungssuche. Das größte Problem sei allerdings, dass wer einmal in der Obdachlosenunterkunft gelandet ist, meist nur schwer wieder wegkommt. Viele Vermieter lassen sich abschrecken, wenn sie nur lesen, wo der potentielle neue Mieter zuvor gewohnt hat. „Zwei der Bewohner haben sogar Arbeit“, erzählt Bernert fast stolz. Eine Wohnung zu finden ist in Zeiten von Wohnungsmangel aber auch für sie gerade nicht möglich. Optimal ist es für die Berufstätigen natürlich im Obdachlosenheim nicht – dort wo sie nach der Nachtschicht keinen Schlaf finden, weil gestritten wird, Drogen konsumiert werden und keine Privatsphäre herrscht.

Jeder der Hilfe sucht, dem wird geholfen

Sabine Bernert macht die bemerkenswerte Aussage: „Meine Intention ist es nicht, hier Drogenfreiheit zu schaffen“. Auf den ersten Blick mag das vielleicht ungewöhnlich klingen, fragt man die Sozialarbeiterin dann genauer, erklärt sie ihre Ansätze. „Drogenfreiheit ist hier nicht möglich, es herrscht zu viel Hoffnungslosigkeit. Zu viel Perspektivlosigkeit.“ Wenn jemand von sich aus Hilfe annimmt, werde sie natürlich alles daransetzen, ihn in eine Drogentherapie zu vermitteln. In der Obdachlosenunterkunft thematisiert Sabine Bernert Themen wie „Safer Use“. Sie hat zum Beispiel einen Erste Hilfe Kasten in die Unterkunft gebracht, klärt die Bewohner über Erste Hilfe Maßnahmen auf und wie sie einen Notarzt verständigen, wenn ein Mitbewohner dringend Hilfe braucht. 

"Es gibt Einige hier, die Verantwortung übernehmen, auf die ich mich verlassen kann“, macht Bernert deutlich. Und das beruht auf Gegenseitigkeit, die Bewohner können sich auf Sabine Bernert verlassen.