Klaus Holetschek trat in St. Vinzenz mit Nördlinger Pflegekräften in Dialog. Bild: Maximilian Bosch
Im Nördlinger Altenheim St. Vinzenz fand Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) am Freitag wohltuende Worte für das Pflegepersonal. Im Gespräch bekam er viele Anregungen für eine Verbesserung des Pflegesystems mit auf den Weg nach München.

Das Pflegegespräch fand auf Einladung von MdB Ulrich Lange statt und sollte Gelegenheit geben, direkt mit dem Bayerischen Staatsminister für Gesundheit und Pflege in Kontakt zu treten. Dabei waren neben den Mitarbeiter*innen des Altenheims auch Vertreter*innen des Vereins für Ambulante Krankenpflege e.V., der Träger der Einrichtung ist, sowie des Pflegezentrum Bürgerheims Nördlingen, des gKU und der Politik.

Pflege steht kurz vor dem Kollaps

Einrichtungsleiterin Angelika Schäfer zitierte eingangs Aristoteles: „Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.“ Bei der Pflege müssten die Segel dringend neu ausgerichtet werden, so Schäfer. Die demografische Entwicklung in Deutschland sei schon seit 30 Jahren bekannt, dennoch habe die Politik den steigenden Personalbedarf in der Pflege aus dem Blick verloren. Jetzt, da das System kurz vor dem Kollaps stehe, suche man händeringend nach Lösungen. Für Holetschek hatte sie ein Handout parat, das Anregungen enthält, die über das heutige Gespräch hinausgehen.

Holetschek: Pflege so wichtig wie Klimaschutz

In einem kurzen Vortrag stellte der Staatsminister klar, dass für ihn die Pflege ganz nach oben auf die Agenda gehöre. Die Frage der Pflege und der Würde des Menschen sei für ihn ebenso wichtig wie der Klimaschutz. „Wir brauchen eine Art Revolution“, sagte Holetschek. Dabei gehe es um bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen. Viele Beschäftigte würden wegen der hohen Belastung durch den Beruf mit der Zeit „ausbrennen“ und das Berufsfeld verlassen, was wegen des bereits bestehenden Personalmangels fatal sei. „Wir laufen sehenden Auges in eine humanitäre Katastrophe“, so der Staatsminister.

Als weitere Probleme machte Holetschek die überbordende Bürokratie und mangelnde Unterstützung für Pflegekräfte, wenn Fehler passieren, aus. Zudem brauche es intelligente Arbeitszeitmodelle und Springerpools mit Pflegerinnen und Pflegern, die bei Bedarf in verschiedenen Einrichtungen einspringen können. Des Weiteren forderte Holetschek, dass Zuschläge für Pflegekräfte steuerfrei gestellt werden. Eine grundlegende Pflegereform sei nötig, und zwar jetzt.

MdB Ulrich Lange (am Rednerpult) hatte das Pflegegespräch initiiert. Bild: Maximilian Bosch

Dialog mit den Pflegekräften

Die Anwesenden konnten im Anschluss ihre Fragen und Vorschläge an Klaus Holetschek richten. Veronika Schmid, Wohnbereichsleitung in St. Vinzenz, sagte, dass es Sie sehr störe, dass man Arbeiten für den medizinischen Dienst übernehmen müsse. Damit seien sechs Fachkräfte zwei Tage pro Halbjahr gebunden. 150 Stunden gingen laut Schmid zudem jedes Jahr nur für Qualitätsmanagement drauf.

Andreas Hurler von der Pflegedienstleitung regte an, die Prüfungsintervalle für Heime wie St. Vinzenz zu überdenken und mit Schichtzulagen und einer 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Wichtig seien jetzt vor allem schnelle Lösungen, so Hurler unter dem Applaus aller Anwesenden.

Ursula Guggeis, Leiterin der Sozialstation St. Vinzenz, benannte den Personalmangel als größtes Problem. Manchmal wisse man nicht, „wie der nächste Tag zu gestalten ist.“ Auch die „Qualitätsspirale“ mit ständigen Prüfungen und Zertifizierungen koste viel Kraft. „Diese Prüfungen machen uns fertig“, so Guggeis.

Andrea Eireiner richtete den Blick auf die Gesundheit des Personals, die aufgrund der hohen Belastung in der Pflege gefährdet sei – dabei wollen doch alle einmal gesund in Rente gehen.

Holetschek zeigt Verständnis

Was die Gesundheit der Pflegenden angeht gab Holetschek Eireiner recht, die Prävention müsse dabei in Sachen Psychosomatik und Orthopädie mehr in den Vordergrund rücken. Bezüglich der „Qualitätsspirale“ müsse man davon wegkommen, die Dinge zu „überdimensionieren“, und anfangen, Vertrauen zu haben. Beim Thema medizinischer Dienst sollen laut dem Staatsminister Erleichterungen geschaffen werden.

Impf-Thematik bleibt nicht ganz außen vor

Andrea Eireiner brachte noch die Thematik des Impfens gegen Covid-19 ins Spiel. Sie selbst sei ungeimpft und es sei ihr wichtig, dass die Entscheidung dazu den Pflegekräften überlassen bleibe. Das sei ein Persönlichkeitsrecht, Holetschek solle hier Druck von den Beschäftigten in der Pflege nehmen. Einrichtungsleiterin Angelika Schäfer erwiderte, dass St. Vinzenz nie Druck auf die Angestellten ausgeübt habe, sich impfen zu lassen. Sie sei jedoch froh darüber, dass 66 Prozent der Mitarbeiter*innen und 94 Prozent der Bewohner*innen geimpft seien.

Holetschek sagte, er sei zwar gegen eine Impfpflicht, aber für ihn sei die Impfung der einzige Weg aus der Pandemie. Ohne eine hohe Impfquote würde man in Zukunft Probleme bekommen. Er warnte: „Wenn die Krankenhausampeln anspringen, müssen wir Maßnahmen ergreifen“, und diese würden dann die Ungeimpften betreffen. Er riet dazu, bei Zweifeln das Gespräch mit Ärztinnen und Ärzten zu suchen und sich zu informieren.

Rößle regt Erhöhung der Pflegeversicherung an

„Die Pflege ist nicht da, wo sie hingehört“, sagte Landrat Stefan Rößle gegen Ende der Veranstaltung. Man habe derzeit viele Themen wie Afghanistan, Bildung und Klimaschutz, gegen die der Pflegenotstand noch immer in der zweiten oder dritten Reihe stehe. Man müsse den Mut haben noch mehr zu tun. Zum Beispiel können man die Pflegeversicherung erhöhen, das Thema dürfe uns mehr Wert sein als aktuell. Außerdem solle man das Berufsfeld nicht immer schlechtreden: „Der Beruf schafft ganz viel Erfüllung“, so der Landrat.

MdB Lange zeigte sich als Initiator des Gesprächs dankbar für die Botschaften der Anwesenden. Er freute sich, dass auch drei Auszubildende dabei waren: Den Schritt in die Pflege zu gehen sei mutig und er finde das toll, es müsse mehr dafür geworben werden. Durchaus selbstkritisch fügte Lange an, dass mit dem Wegfall von Wehr- und Zivildienst etwas verloren gegangen sei.

Am Rande der Veranstaltung besichtigte Klaus Holetschek auch den geplanten Standort der Tagespflege von St. Vinzenz und sicherte dem Projekt seine volle Unterstützung zu.

Am Rande der Veranstaltung sah sich Staatsminister Holetschek den geplanten Standort der Tagespflege von St. Vinzenz an. Von links: Pfarrer Benjamin Beck (1. Vorstand Verein für ambulante Krankenpflege e.V.), Blasius Wizinger (Vorstandsmitglied), MdB Ulrich Lange, Staatsminister Klaus Holetschek, Landrat Stefan Rößle, MdL Wolfgang Fackler, Bezirksrat Peter Schiele und Einrichtungsleiterin Angelika Schäfer. Bild: Maximilian Bosch