Was für eine Achterbahnfahrt der Gefühle erlebten die Luftgewehrschützen des Schützenvereins Gemütlichkeit aus Mertingen im März. Per Telefon wurde Bernd Schröttle, verantwortlicher Sportwart Langwaffen, mitgeteilt, dass das Team nach vier Jahren in der 2. Bundesliga Süd in der kommenden Saison nicht mehr dort antreten kann. Ein kurzer Moment der Verwirrung, ehe Hermann Müller, Ligaleiter der 1. Bundesliga, die frohe Kunde überbrachte: „Eine Mannschaft hat ihren Start in der Liga zurückgezogen. Herzlich willkommen in der 1. Bundesliga.“
Nur wenige Tage zuvor hatte man mit dem dritten Platz im Aufstiegswettkampf den Traum von der Bundesliga noch knapp verpasst. Nun war man doch noch in der Beletage der Schützen angekommen. Dementsprechend groß war der Jubel in Mertingen – und nicht nur dort, wie Bernd Schröttle betonte: „Es gab viele Glückwünsche. Die Leitungen sind heiß gelaufen. Sowohl Einzelschützen als auch Vereine haben sich bei uns gemeldet. Das hat viel Freude gemacht.“
Bei aller Freude wartete nun aber viel Stress auf die Mertinger. Nach dem verpassten Aufstieg wurden die kompletten Planungen auf eine erneute Saison in der 2. Bundesliga ausgerichtet. Nun musste in Windeseile auf die 1. Bundesliga umgeschwenkt werden. Was allerdings nicht so einfach ist, wie Bernd Schröttle zugibt. „Die Topleute sind in der Regel nach vier bis sechs Wochen vom Markt.“
Mertingen ist in der Weltelite angekommen
Und mit Topleuten ist die Weltelite der Luftgewehrschützen gemeint. Denn die Bundesliga ist nicht nur das nationale Aushängeschild, sondern die prestigeträchtigste Klasse weltweit. „Ausländische Schützen sind wild darauf, in der Bundesliga zu schießen, weil sich hier auf höchstem Niveau duelliert wird“, erklärt Bernd Schröttle. Ohne die Bundesliga hätten die Topschützen „zu wenig Vorbereitung auf Top-Events wie Weltmeisterschaften oder Olympische Spiele“.
Nun gehören auch die Mertinger Schützen zu diesem erlesenen Kreis aus 24 Mannschaften, die sich mit je 12 Teams auf die Bundesliga Nord und Süd verteilen. Und trotz der verkürzten Vorbereitungszeit darf sich die Bundesliga auf eine starke Mannschaft freuen. Das Aufstiegsteam ist zusammengeblieben und bildet mit sieben Schützen den Kern. Dazu kommen vier Topschützen neu dazu.
Namhafte Zugänge für das Abenteuer Bundesliga
Zum einen das Geschwisterpaar Emely und Vivien Jäggi: Beide sind Mitglied des Schweizer Nationalkaders und können bereits internationale Erfolge vorweisen. Emely, mit 16 Jahren auch die jüngste Mertinger Schützin, hat unter anderem einen dritten Platz beim Weltcup in Kairo sowie einen Vize-EM-Titel bei den Junioren in der Vita. Ihre zwei Jahre ältere Schwester kürte sich 2023 zur Junioren-Weltmeisterin im Kleinkaliber. In Sophia Müller hat sich noch die Deutsche Meisterin 2021 im Juniorenbereich für Mertingen entschieden.
„Wer im Schweizer Nationalkader steht oder einen Deutschen-Meistertitel holt, der hat schon was drauf“, zeigt sich Bernd Schröttle dementsprechend zuversichtlich. Ziel ist es, eine entspannte Saison ohne Abstiegskampf zu absolvieren. „Wir wollen eine Qualität an den Stand bringen, dass wir uns am Ende vielleicht an der Spitze vom unteren Drittel wiederfinden.“
Um dieses Ziel zu erreichen, wird stetig am Kader gearbeitet. Kurz vor Saisonstart hat sich noch Jannick Anzenheimer aus Steinheim den Mertinger Schützen angeschlossen. Bislang schoss der 20-Jährige für Eintracht Schretzheim. Dazu kommt mit Denise Bruckschlögl aus Österreich noch eine neue Mentaltrainerin, damit Mertingen auch im Kopf bereit ist für das Abenteuer Bundesliga.
Bundesliga ohne Sponsoren wäre nicht möglich
Qualität ist also im Team vorhanden und auch am Mannschaftsgeist fehlt es nicht. Denn trotz räumlicher Distanz der einzelnen Schützen wird in Mertingen viel Wert auf ein familiäres Miteinander gelegt. „Das wird uns von vielen anderen Mannschaften auch immer wieder bestätigt, dass wir ein tolles Mannschaftsgefüge geschaffen haben“, weiß Bernd Schröttle zu berichten.
Aber auch finanziell ist die Grundlage gelegt. Pro Saison braucht es einen gut fünfstelligen Betrag, um Trainerkosten, Munition, Übernachtungen und andere Sachen zu bezahlen. Das wird komplett über Sponsoren finanziert, welche nach dem Aufstieg auch bereits auf Mertingen zugekommen sind. Zudem schaut sich auch der Verein selbst aktiv nach interessierten Firmen um.
Die Schützen selbst bekommen übrigens kein Gehalt für den Start in der Bundesliga. Bei ihnen läuft viel über die Leidenschaft zum Sport, der sie nun mit Mertingen bis in die sportlich herausforderndste Liga der Welt gebracht hat – wenn auch über Umwege.