10. April 2022, 08:00
Jahresthema

Jahresthema: Namenspaten aus Donauwörth

Julius Prochownik Bild: Stadtarchiv Donauwörth
In unserem Jahresthema 2022 beschäftigen wir uns damit, warum Straßen, Plätze und Gebäude heißen, wie sie heißen und nach wem sie benannt wurden. Welche berühmten Persönlichkeiten, Geschichten und Schicksale stecken dahinter? Im zweiten von sechs Teilen haben wir uns in Donauwörth nach interessanten Namenspaten umgeschaut.

Julius Prochownik - Wie ein Donauwörther Rechtsanwalt vernichtet wurde

Die Straße, die an das Schicksal der Donauwörther Familie Prochownik erinnern soll, gibt es noch nicht. Eine neue Verbindung im Alfred-Delp-Quartier wird den Namen der Familie tragen. Die Familie wurde während der NS-Zeit aufgrund ihrer Herkunft verfolgt, obwohl das Familienoberhaupt Julius Prochownik während seines Jura-Studiums vom Judentum zum Protestantismus konvertierte. Prochownik wurde 1873 im ostpreußischen Bromberg geboren. 1903 ließ er sich in Donauwörth nieder und eröffnete eine Rechtsanwaltskanzlei in der Schustergasse. Später bewohnte er mit seiner Frau Kathinka und zwei Töchtern das Haus in der Reichsstraße 36. Nach dem Tod seiner Frau heiratete er Maria Anna, geborene Loibl, in zweiter Ehe. Mit ihr hatte er drei weitere Töchter. Julius Prochownik war in Donauwörth ein angesehener Mann, seine Kanzlei führte er drei Jahrzehnte lang. Für einige Jahre gehörte Prochownik dem Donauwörther Stadtrat an und war im Rechnungsprüfungsausschuss. Mit der Machtübernahme Adolf Hitlers und den Boykottaufrufen gegenüber jüdischen Geschäften wurde eine regelrechte Hetzjagd auf den Rechtsanwalt betrieben. Das Haus wurde beschmiert und Julius Prochownik sowie seine Familie wurden beschimpft und beleidigt. Seine Frau wurde aufgefordert, sich scheiden zu lassen, was sie aber nicht tat. Er beanspruchte ärztliche Hilfe, wurde entmündigt und sogar zwangsweise sterilisiert. Nach dem Umzug nach Berlin konnte ihn seine Frau aufgrund der sogenannten „Mischehe“ vor der Deportation bewahren. Kurze Zeit nach Kriegsende starb Julius Prochownik im Juni 1945 an Entkräftung.

Zwei Namen fallen bei der Recherche zu Julius Prochownik auf, die in seinem Zusammenhang erwähnt werden müssen: Es war der damalige Donauwörther Bürgermeister Dr. Friedrich Dessauer, der Nachforschungen zu Prochowniks Abstammung anstellte und damit den Judenhass in der Bevölkerung anfeuerte. Andreas Mayer, der von 1935 bis 1945 ehrenamtlicher Bürgermeister und Ratsherr bzw. Kreispropagandaleiter der NSDAP war, war hauptverantwortlich für den Aufruf jüdische Geschäfte zu boykottieren und zu meiden. Ihn wählte man nach dem Krieg, im Jahre 1948, sogar zum 1. Bürgermeister. Dieses Amt hielt er bis 1970 inne. Befremdlich, wenn man darüber nachdenkt, dass beiden Männern in der Donauwörther Parkstadt – unweit der neuen Prochownik-Straße – ebenfalls jeweils eine Straße gewidmet ist.

Ludwig Bölkow - Der Grundstein für Donauwörths Flugzeugbauer-Tradition

Ludwig Bölkow Bild: Wikimedia Commons / Public Domain

Ludwig Bölkow wurde am 30. Juni 1912 in Schwerin geboren und war ein deutscher Ingenieur und Unternehmer. Als Gründer des Flugzeugherstellers Bölkow GmbH, gilt er heute als Pionier der Luftfahrt. Seine Verbindung zur Stadt Donauwörth begründet sich vor allem damit, dass Bölkow zwischen 1959 und 1965 mit der Übernahme der Waggon- und Maschinenbau GmbH Donauwörth den Grundstein für das jetzige Airbus-Helicopters-Werk Donauwörth legte. Das Unternehmen ist noch heute weit über die Grenzen des Landkreises bekannt und ist einer der Hauptgründe für den erfolgreichen Wirtschaftsstandort. Passend dazu ist die Berufsschule in Donauwörth nach ihm benannt.

Sebastian Franck - Er war seiner Zeit voraus

Sebastian Franck Bild: Wikimedia Commons / Public Domain

Die Grundschule im Donauwörther Stadtteil Parkstadt sowie die Wörnitzbrücke im Ried sind nach einem der bedeutendsten Söhne der Stadt benannt. Sebastian Franck wurde 1499 in Donauwörth geboren und war Theologe, Schriftsteller und Philosoph. Nach seinem Theologiestudium war Franck zunächst als katholischer Priester in der Seelsorge tätig, dann schloss er sich der Reformation an und wurde lutherischer Prediger. Später verzichtete Franck sogar auf das geistliche Amt und konzentrierte sich ausschließlich auf die Schriftstellerei. Dabei nahm er eine radikalreformatorische und autoritätskritische Haltung ein. Aufgrund dieser Haltung geriet Sebastian Franck zu Lebzeiten mehrfach wegen Ketzerei in schwere Konfl ikte, die ihn schließlich nach Basel führten, wo er 1542 verstarb. Im Zentrum von Francks Welt- und Geschichtsbild stand eine für damalige Verhältnisse
ungewöhnlich radikale Ablehnung jeder Form von religiöser Bevormundung. Daher verwarf er grundsätzlich jede Art von kirchlicher Organisation und plädierte für Unparteilichkeit in den konfessionellen Streitigkeiten. In den kirchlichen Institutionen sah er die Ursache der Korrumpierung des Christentums. Vor allem verurteilte er die Verbindung von Kirche und Staat und die staatliche Intervention bei religiösen Meinungsverschiedenheiten. Sebastian Franck war seiner Zeit mit seinen Gedanken wohl weit voraus. Obwohl die zeitgenössischen Gelehrten seine Ansichten stark kritisierten und zurückwiesen, gilt er heute als Vorläufer aufklärerischen Denkens.

Marie-Luise Jahn - Widerstandskämpferin der Weißen Rose

Marie-Luise Jahn (*28. Mai 1918 in Gut Sandlack/Kreis Bartenstein; †22. Juni 2010 in Bad Tölz) war eine deutsche Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus während des 2. Weltkriegs. Nach dem Abitur studierte sie ab 1940 an der Universität München Chemie. Dort lernte sie auch Hans-Leipelt kennen und lieben. Nachdem im Februar 1943 die Geschwister Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst als Köpfe der „Weißen Rose“ in Stadelheim hingerichtet wurden, waren es im Anschluss unter anderem Hans Leipelt und Marie-Luise Jahn, die für die Verbreitung des sechsten Flugblattes der „Weißen Rose“ verantwortlich waren. Sie vervielfältigten die Flugblätter auf Schreibmaschinen und verteilten diese mit dem Zusatz „Und ihr Geist lebt trotzdem weiter“ in Hamburg. Unterstützt wurden sie dabei vor allem vom „Hamburger Freundeskreis der Weißen Rose“. Im Oktober 1943 wurden Leipelt und Jahn verhaftet. Fast genau ein Jahr später, am 13. Oktober 1944, fand in Donauwörth der Prozess gegen die beiden Widerstandskämpfer statt. Während des Prozesses nahm Leipelt die gesamte Verantwortung für die gemeinsamen Taten auf sich und wurde wenig später hingerichtet. Jahn hingegen konnte der Exekution entgehen und wurde zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt. Mit dem Ende des 2. Weltkriegs kam sie frei und studierte später an der Universität Tübingen Medizin, wo sie 1953 auch
promovierte. Von 1987 bis 2002 war Jahn Vorstandsmitglied der Weißen Rose Stiftung. Nach dem Ende ihrer berufl ichen Laufbahn widmete sie ihr Leben dem Erinnern und Mahnen durch Zeitzeugeninterviews an Schulen und in Kirchen. Am 22. Juni 2010 verstarb Marie-Luise Jahn im Alter von 92 Jahren in Bad Tölz. Die Marie-Luise-Jahn Straße im Donauwörther Stadtteil Riedlingen soll auch zukünftige Generationen an die Schrecken des 2. Weltkriegs und den beispiellosen Mut der „Weißen Rose“ erinnern. |

Marie-Luise Jahn Bild: NL Dr. Marie-Luise Jahn / Weisse Rose Institut e.V.

Ilse Seeliger - Das Schicksal einer Donauwörtherin

Auch nach Ilse Seeliger soll eine neue Straße im 1. Bauabschnitt des Alfred-Delp-Quartiers benannt werden. Am 11. November 1900 wurde Ilse Franziska als Tochter des Rechtsanwalts Carl Hirsch und seiner Frau Blanka Hirsch, geborene Levy, in Donauwörth geboren. Ihr Vater war jüdisch, ihre Mutter evangelisch.

Bis zum Tod des Vaters lebte die Familie mit einem weiteren Kind in der Donauwörther Reichsstraße und zog später nach Köln. Wahrscheinlich war die Familie Seeliger die letzte jüdische Familie, die Donauwörth Anfang des 20. Jahrhunderts verlassen hat. Spätere Volkszählungen in den Jahren 1925, 1933 und 1939 sowie Verzeichnisse der jüdischen Gemeindeverwaltung aus den Jahren 1924 und 1932 nennen keine Juden in Donauwörth.

Das Schicksal der in Donauwörth geborenen Ilse Franziska Hirsch lässt sich nur vage zurückverfolgen. In Köln heiratete sie den Kaufmann Walter Seeliger. Das Ehepaar wurde 1941 in das Ghetto Riga deportiert und ist dort verschollen. Das Amtsgericht Köln erklärte Ilse Franziska Seeliger am 29.01.1952 für tot, als Sterbedatum hat man den 31.12.1945 festgelegt