29. Mai 2017, 10:30

Die Johannesheime in Oettingen - Mittendrin statt nur dabei

Die Johannesheime bieten ihren Bewohnern ein abwechslungsreiches Freizeitangebot an. (Alle Bilder: Diakonie Neuendettelsau) Bild: DRA
An mehreren Orten in Oettingen finden sich Wohngebäude, die zu den Oettinger Johannesheimen gehören. Manch einer, der öfter in Oettingen unterwegs ist, wird jetzt angestrengt überlegen wo sich diese Gebäude befinden. Vielleicht überlegt auch der ein oder andere Oettinger nun, welche Häuser das sind. Von außen lässt sich nicht erkennen, dass die Gebäude zur Diakonie gehören, da es sich um Wohnhäuser handelt, wie man sie hundertfach in Oettingen findet. An Wohnheime für Menschen mit Behinderung erinnert hier eigentlich nichts. Warum das so ist und warum das genau das ist, was die Philosophie der Johannesheime ausmacht, habe ich bei meinem Besuch in Oettingen erfahren
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Mein erster Weg führt mich in die Ziegelgasse. Dort bin ich mit Birgit Wagner Schützling Jörg verabredet. Die beiden führen mich in den Keller des Hauses. Dort befindet sich die hauseigene Werkstatt, in der nach Herzenslust gebastelt und gebaut werden kann. Bei meinem Besuch sind die beiden gerade dabei die Osterdekoration fertigzustellen. Aus Holzscheiben und Weidenzweigen haben Birgit und Jörg Osternester gebaut. Gefüllt werden die Osternester mit Eiern aus Pappmaché, die in anderen Projekten gefertigt wurden. Auch bunte Steine, die die Seniorengruppe gefertigt hat, finden Verwendung in den Osternestern. Da Jörg derzeit tagsüber keine Werkstatt besucht, arbeitet er mit Birgit Wagner hier an den Projekten. „Die Klienten sollen einen geregelten Tagesablauf haben, das stellen wir mit diesen Projekten sicher. Die anderen Klienten können das Angebot in ihrer Freizeit wahrnehmen“, erklärt mir Birgit Wagner.
Neben Dekorationsgegenständen für den Eigengebrauch werden in den Projekten auch Dinge gefertigt, die zum Beispiel auf dem Oettinger Weihnachtsmarkt verkaut werden. Mit dem Erlös werden dann neue Materialien gekauft oder auch mal Ausflüge unternommen. Birgit Wagner hat eine Zusatzausbildung absolviert, damit sie diese Art von Projekten anbieten kann. „Ich betätige mich aber auch in meiner Freizeit gerne handwerklich. Dieses persönliche Interesse kommt mir hier zu Gute“, erzählt Wagner, während sie Jörg dabei hilft , die letzten Steine auf der Osterdeko anzubringen. Jörg hat durch das Projekt den Spaß am handwerken entdeckt. „Mittlerweile baue ich auch in meiner Freizeit Sachen“, sagt er. Nachdem mir die beiden einen Einblick in ihre Kreativwerkstatt gewährt haben, wird es auch schon Zeit, dass ich mich auf den Weg zu meiner zweiten Station am heutigen Tag mache – ich darf eine Wohngruppe im Nelkenweg besuchen. Jörg begleitet mich dorthin, denn auch er wohnt dort. Da wir schon spät dran sind, müssen wir uns etwas beeilen. Im Nelkenweg erwarten uns bereits Gerhard Förthner und Thomas Spatz, Betreuer im betreuten Wohnen, um mir alles zu zeigen. Den Garten, die Küche, das Bad, Gemeinschafftsräume und sogar in das Zimmer von Jörg darf ich einen Blick werfen.
Wird von allen heiß und innig geliebt: Herr Purzel, der schwarze Kater. (Alle Bilder: Johannesheime) Bild: DRA
Besonders stolz sind sowohl Betreuer als auch Bewohner auf das WC im Erdgeschoss, denn die Fließen wurden selbst hergestellt. „Das hat riesig Spaß gemacht“, erzählt Gerhard Förthner und Jörg nickt zustimmend. Insgesamt gibt es zwei Haushälften. In jeder Hälfte ist eine Wohngruppe untergebracht. Insgesamt wird das Haus von 10 Klienten bewohnt. „Das ist relativ klein und familiär. Man könnte es auch als Luxus bezeichnen“, schwärmt Gerhard Förthner von der Betreuungssituation im Nelkenweg. Auch im Inneren des Hauses sieht es weniger nach betreutem Wohnen, als nach WG aus. Und genau so soll das auch sein, erklärt mir Gerhard Förthner: „Die Klienten wohnen hier meistens lange Jahre. Umso wichtiger ist es, dass sie dieses Haus als ihr Zuhause ansehen und deshalb gestalten wir es so, dass man sich hier wohlfühlen kann.“ Durch eine Glastüre betreten wir die andere Haushälfte. Um den Esstisch haben sich die Bewohner versammelt und erwarten uns bereits. Von Gerhard Förthner erfahre ich, dass auch einige Kollegen, Redakteure der Diakoniezeitung „Rundherum“, am Tisch sitzen. Wenn ich schon mal da bin, kann ich mit den Kollegen auch eine Runde fachsimpeln. Also unterhalten wir uns darüber, welche Unterschiede es zwischen unseren Magazinen gibt und wie in den verschiedenen Redaktionen gearbeitet wird. Nachdem wir uns ausgetauscht haben, werfen wir gemeinsam einen Blick auf die Jahreschronik. „Für jedes Jahr fertigen wir eine solche Jahreschronik an. Darin befinden sich Bilder, die zeigen, was wir das ganze Jahr über gemacht und erlebt haben“, so Gerhard Förthner. Bilder von Urlauben, Ausflügen, Festen und Projektarbeiten finden sich dort.
Während wir uns die Bilder anschauen, erzählen mir die Bewohner, was auf den Bildern zu sehen ist. „Vor allem für die Angehörigen der Bewohner ist die Chronik wichtig. So kann sich jeder an Hand von Bildern über die Aktivitäten des letzten Jahres informieren“, beschreibt Förthner den Mehrwert der Chronik. Auf einem Bild ist auch Herr Purzel zu sehen. Irgendwo muss er sich herumtreiben, erzählen mir die Bewohner des Nelkenwegs. Vielleicht sitzt er wieder im Schrank, denn das macht er gerne. Kurz bin ich irritiert, bis ich das Bild genauer betrachte und dann erkenne, dass Herr Purzel weder ein Mitarbeiter noch ein Bewohner des Nelkenwegs ist, sondern der schwarze Hauskater, der von den Bewohnern heiß und innige geliebt wird. Leider konnte er sich keine Zeit für meinen Besuch nehmen und lässt sich dementsprechend auch nicht blicken. Wichtigere Angelegenheiten haben ihn wohl aufgehalten. Nach der Kaffeepause im Nelkenweg mache ich mich auf den Weg zur dritten und letzten Station am heutigen Tag, dem Büro der Offenen Hilfen, das rund einen Kilometer vom Nelkenweg entfernt liegt. Einer der Bewohner des Nelkenwegs, Klaus, begleitet mich, damit ich mich nicht verlaufe. Das passt ganz gut, denn er ist ein Teilnehmer an einem besonderen Projekt, über das ich gleich noch mehr erfahren werde. Am Büro angekommen, werde ich von der Leiterin der Offenen Hilfen, Margit Schmutterer und Andrea Beranek, die bei den Offenen Hilfen als Koordinatorin für Erwachsenenbildung tätig ist, in Empfang genommen. Erwartet werde ich diesmal von zukünftigen Stadtführern. Denn das ist der Inhalt eines Projekts, das derzeit bei den Offenen Hilfen vorbereitet wird. Unter dem Titel „Oettingen – einfach erleben“ werden derzeit acht Stadtführer ausgebildet. Allesamt Menschen mit Behinderung.
„Auf die Idee bin ich Anfang 2016 gekommen“, erklärt Andrea Beranek und fügt hinzu: „Auf einer Sitzung der VHS habe ich mitbekommen, dass händeringend neue Stadtführer für Oettingen gesucht werden. Gerade wenn es darum geht, Stadtführungen in einfacher Sprache zu veranstalten, fehlen Stadtführer. In einfacher Sprache sind wir natürlich Fachleute.“
Auf einer Weiterbildung zum Thema Inklusionsmanagement habe sich ihr dann die Möglichkeit geboten, das Projekt tatsächlich auch in die Tat umzusetzen. „Im Zuge dieser Weiterbildung musste ich ein Projekt einreichen. Im Mai habe ich deshalb alle Klienten zu einem Stadtspaziergang eingeladen um zu sehen, ob jemand Lust dazu hat. Bei Kaffee und Kuchen haben sich dann acht Interessierte dazu entschieden mitzumachen“, erzählt Beranek von der Entstehung des Projekts. Seit diesem Zeitpunkt betinden sich die Stadtführer nun in Ausbildung. Zehn Treffen, die im Abstand von vier bis sechs Wochen stattfanden, liegen mittlerweile hinter den Stadtführer-Azubis. Damit sie alles erfahren, was ein Stadtführer wissen muss, hat die Gruppe schon einiges unternommen. „Wir haben das Heimatmuseum und die Kirchen besucht, haben uns den Audioguide ausgeliehen, sind schon oft durch Oettingen gelaufen, um Bilder zu machen, haben uns überlegt, welche Route wohl am besten ist und was wir gegenüber den „normalen“ Stadtführungen ändern müssen“, lässt Andrea Beranek die bisherige Ausbildung Revue passieren. Damit die Teilnehmer bestmöglich auf ihre zukünftige Aufgabe vorbereitet sind, werden sie auch noch einen Rhetorikkurs auf dem Hesselberg besuchen und verschiedene Arten von Stadtführungen mitmachen. Gegen Jahresende steht dann auch noch die Abschlussprüfung an. „Wie die Prüfung genau aussehen wird, wissen wir allerdings noch nicht“ sagt Andrea Beranek. Sicher ist sie sich aber, dass es spätestens Anfang 2018 mit den Führungen in einfacher Sprache losgehen soll. Auch die angehenden Stadtführer freuen sich schon jetzt auf ihre zukünftige Aufgabe. Jeder der acht übernimmt dann die Aufgabe, die seinen Talenten am nächsten kommt. Bald kann dann die Residenzstadt Oettingen „einfach“ erlebt werden.